Klimaschutz im Gebäudebestand und Neue Leipzig-Charta

Interview Christian Huttenloher, Generalsekretär Deutscher Verband für Wohnungswesen, Städtebau und Raumordnung e.V.

BVI-Magazin: Der Gebäudebereich soll nach dem neuen Bundes-Klimaschutzgesetz (KSG) bis 2045 treibhausgasneutral sein. Der Deutsche Verband für Wohnungswesen, Städtebau und Raumordnung e. V. (DV) hat einen Runden Tisch zum Thema „Neue Impulse für nachhaltigen Klimaschutz im Gebäudebestand“ organisiert, der seine Handlungsempfehlungen im Juni 2021 veröffentlicht hat. Was sind die wichtigsten Aussagen?

Christian Huttenloher: Um bis 2045 einen treibhausgasneutralen Gebäudebestand zu erreichen, müssen wir enorme Anstrengungen unternehmen – zum einen muss der komplette Gebäudebestand umfassend energetisch modernisiert werden, zum anderen muss die gesamte Energieversorgung auf vollständig treibhausgasneutral umgestellt werden. Es reicht nicht aus, ein bisschen kosmetisch zu sanieren und ein paar Solarpaneele oder PV-Module aufs Dach zu packen. Damit Treibhausgasneutralität in einer Energiezukunft mit zeitlich wie saisonal volatilen erneuerbaren Energien wirklich gelingt, müssen die notwendigen Investitionen an den Gebäuden und in die Energieversorgungsinfrastruktur im Systemzusammenhang ineinandergreifend und sich gegenseitig ergänzend konzipiert und umgesetzt werden. Für jedes Quartier sollte mit der Zielperspektive bis 2045 schrittweise ein für die Treibhausgasminderung optimales Zusammenspiel aus CO2-freier Wärme- und Warmwasserversorgung und Wärmeschutz erreicht werden, der bautechnisch machbar und möglichst baukulturverträglich ist und gleichzeitig wirtschaftlich und sozialverträglich gestaltet werden kann. Nur: Maximaler Wärmeschutz für jedes einzelne Gebäude wird nicht reichen und verursacht bei sinkendem Grenznutzen stark steigende Grenzkosten. Aber die Gebäude müssen wegen der begrenzten erneuerbaren Energien deutlich weniger Energie verbrauchen und auch niedertemperaturfähig werden, da die erneuerbare Wärmeversorgung zum großen Teil mit niedrigeren Systemtemperaturen einhergehen wird. Außerdem müssen Gebäudeeigentümerinnen und -eigentümer, die heute oder in einigen Jahren ihre Gebäude modernisieren, wissen, welche erneuerbare Wärmeversorgung künftig am Standort ihres Gebäudes vorhanden sein wird – grüne Fernwärme, Wärmepumpen mit solarer Ergänzung oder Biomasse. Dazu ist eine kommunale Wärmeleitplanung unverzichtbar, wie sie in Baden-Württemberg nun eingeführt wurde. Um vor allem die Einzeleigentümer – Selbstnutzer, private Vermieter und Wohnungseigentümergemeinschaften – für erheblich mehr klimazielkonforme energetische Modernisierungen zu mobilisieren, braucht es eine massive Ausweitung von Information, Beratung und Baubegleitung vor Ort, ebenso wie eine gut ausgestattete und ambitionierte, Modernisierungsförderung, die ambitionierten aber machbaren Wärmeschutz fordert und mit ausreichend Zuschüssen fördert. Hier spielen an der Schnittstelle zu den Wohnungseigentümergemeinschaften, die schwerer für umfassende energetische Modernisierungen zu mobilisieren sind, die Hausverwalter eine entscheidende Rolle, da diese zusammen mit professionellen Energieberatern für die Hausgemeinschaft eine sinnvolle, auch stufenweise Modernisierungsstrategie auf den Weg bringen können. Der DV hat in seinem Runden Tisch mit Unterstützung des Bundesumweltministeriums genau für die komplexen Handlungsfelder sehr konkrete Handlungsempfehlungen erarbeitet, an denen Immobilienwirtschaft und private Eigentümer, Energieversorger, Umweltverbände, Kommunen und Ministerien aktiv mitgewirkt haben.

BVI-Magazin: Das Thema Nachhaltigkeit hat der DV im Zusammenhang mit der Neuen Leipzig-Charta in verschiedenen Veranstaltungen thematisiert. Wie kann der Geist der Neuen Leipzig-Charta konkret mit Leben gefüllt werden und welchen Beitrag können ggf. Hausverwalter dazu leisten?

Christian Huttenloher: Die Leipzig-Charta ist thematisch noch breiter als der Runde Tisch auf eine ganzheitliche und integrierte Stadtentwicklungspolitik ausgerichtet. Sie propagiert, dass lebenswerte, nachhaltige und resiliente Städte nur gestaltet werden können, wenn sich vielfältige ökologische, soziale und wirtschaftliche Anliegen und Handlungsfelder, die häufig auch mit Zielkonflikten verbunden sind, gleichberechtigt und möglichst synergetisch durch eine integrierte, partizipative und sektorenübergreifende Stadt- und Quartiersentwicklung adressiert werden. Dabei sind das städtebauliche Ideal gemischte und multifunktionale Strukturen. Die Neue Leipzig-Charta bietet vor allem Kommunen sowie anderen in der Stadtentwicklung engagierten Akteuren einen grundlegenden Leitfaden, wie sich nachhaltige und resiliente Städte gestalten lassen und über welche Grundprinzipien man diese in die Tat umsetzen kann. Ein wichtiges Grundprinzip ist zum Beispiel die „Co-Produktion“ von Stadt, also das gemeinsame Zusammenwirken von Verwaltung und Politik, Immobilieneigentümern, Unternehmen sowie der Zivilgesellschaft bei der Gestaltung und Erneuerung von Quartieren und Städten. In solchen Prozessen sind es wiederum gerade in den Städten Wohnungseigentümergemeinschaften, deren Mitwirkung in manchen Handlungsfeldern sehr relevant ist, die aber nicht einfach zu adressieren sind, wie dies am Beispiel der energetischen Gebäudesanierung deutlich wird, die auch in der Leipzig-Charta unter dem Thema „Die grüne Stadt“ ein wichtiges Handlungsfeld ist. Und auch bei der in Folge von Corona notwendigen drängenden Stabilisierung und Stärkung der Innenstädte und Stadtteilzentren ist die engagierte Mitwirkung der Eigentümer unverzichtbar, damit in den Gebäuden neue tragfähige Nutzungen entstehen können.

BVI-Magazin: Welche weiteren Schwerpunkte beschäftigen die Gremien des DV in diesem Jahr?

Christian Huttenloher: Gerade die Stabilisierung und Stärkung unserer durch Corona arg gebeutelten Innenstädte ist ein wichtiger Themenschwerpunkt der diesjährigen Arbeit unseres Verbandes. Dazu haben wir gemeinsam mit dem Handelsverband Deutschland und der Bundesstiftung Baukultur schon vor einem Jahr wichtige Impulse für das kürzlich angelaufene Bundesprogramm „Zukunftsfähige Innenstädte und Zentren“ geliefert und werden das Programm auch in der Startphase begleiten. Und auch eine stärker auf bezahlbaren und gemeinwohlorientierten Wohnungsbau ausgerichtete Bauland- und Bodenpolitik steht weiterhin im Zentrum unserer Arbeiten. Der DV war die Geschäftsstelle der Baulandkommission, wirkt derzeit an einer Studie des Deutschen Instituts für Urbanistik zum aktuellen Stand der kommunalen Baulandpolitiken mit und hat gemeinsam mit dem Bundesverband DIE STADTENTWICKLER bei einer Fachveranstaltung ein Thesenpapier zur Boden- und Baulandpolitik erarbeitet. Dieses und alle weiteren Ergebnisse unserer Arbeit bringen wir als fachlich fundierten und ausgewogenen Beitrag unserer Dialogplattform zu sammengesetzt aus sehr heterogenen öffentlichen, privaten und zivilgesellschaftlichen Akteuren rund um die Themen Wohnen, Stadtentwicklung und Raumordnung, außerdem nun in die Koalitionsverhandlungen für die nächste Legislaturperiode ein. Denn das zeichnet den DV aus: Hier kommen Immobilienwirtschaft, private Eigentümer, Mietervertreter, Bundes- und Landesministerien, Finanzinstitute, Planer und Architekten zu einem konstruktiven, manchmal auch durchaus kontroversen Dialog und Austausch zusammen.

CHRISTIAN HUTTENLOHER
Generalsekretär
Deutscher Verband für Wohnungswesen, Städtebau und Raumordnung e. V.

 

Einen Kommentar schreiben
Kommentieren