Folgen der Energiekrise

Kostenexplosion beim Wirtschaftsplan: Handlungsempfehlungen für den Ernstfall

Die Energiekrise wirkt sich zuweilen auf die Kostentragung für 2022 und 2023 aus. Welche Handlungsmöglichkeiten hat der Verwalter?

Der Fall: Nach dem 30. November 2020, aber vor dem 
24. Februar 2022 wurde gemäß § 28 Abs. 1 WEG ein Beschluss gefasst über „Vorschüsse“ zur Kostentragung für 2022 und 2023. Allerdings erweisen sich diese nun wegen der Energiekrise als zu niedrig.

Handlungsspielraum der Sondereigentümer

Die Eigentümerversammlung hat bei der Beschlussfassung über die Höhe der Vorschüsse einen großen Ermessensspielraum. Wohnungseigentümer können gemäß § 23 Abs. 3 Satz 2 WEG in Textform beschließen, dass für einen einzelnen konkreten Gegenstand im Umlaufverfahren die einfache Mehrheit der abgegebenen Stimmen genügt („Absenkungsbeschluss“). Allerdings muss dafür zumindest der Beschlussgegenstand schon einmal auf der Tagesordnung einer Eigentümerversammlung gestanden haben oder sogar diskutiert worden sein.

Nach § 19 Abs. 1 WEG können die Wohnungseigentümer flankierend zur Kostensenkung niedrigere Mindesttemperaturen und eingeschränkte Zeiten beschließen, in denen Wärme zur Verfügung steht.

Handlungsspielraum des Verwalters

Kostenreduzierung: Gemäß § 27 Abs. 1 Nr. 1 WEG darf der Verwalter gegenüber der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer (GdWE) Maßnahmen treffen, die nur untergeordnete Bedeutung haben und nicht zu erheblichen Verpflichtungen führen. Darunter dürfte die Senkung der Mindesttemperatur etwa um 1 °C sowie die geringe Verlängerung der Nachtabsenkung der Heizanlage etwa um eine Stunde noch fallen.

Hat der Verwalter nur noch sehr geringe finanzielle Mittel zur Verfügung, droht das Gasversorgungsunternehmen mit stark erhöhten Abschlägen und sinkt der Verbrauch nicht nach den gesetzlichen Vorgaben um mindestens zehn Prozent, könnte es für die Wohnungseigentümer einen Nachteil bedeuten, wenn der Verwalter nicht nach § 27 Abs. 1 Nr. 2 WEG „zur Abwendung eines Nachteils“ die Temperaturen und die Heizzeiten verändert.

Verbesserung der Liquidität: Die Inanspruchnahme eines Dispo-Kredits ohne Beschluss scheitert an § 9b Abs. 1 Satz 1 WEG.

Gemäß § 27 Abs. 1 Nr. 2 WEG kann der Verwalter gegenüber der GdWE – ohne Beschluss – Maßnahmen ordnungsmäßiger Verwaltung treffen, die zur Abwendung eines Nachteils erforderlich sind. Daraus lässt sich aber keine „Notkompetenz“ ableiten, die Vorschüsse zu erhöhen. In Betracht kommen – ohne Anrufung der Eigentümerversammlung – die erweiterten Befugnisse des Verwalters nach § 27 Abs. 2 WEG. Das setzt allerdings einen generellen Beschluss – meist mit Kostenrahmen für Einzelmaßnahmen und Höchstbetrag pro Wirtschaftsjahr – in der Vergangenheit voraus.

Maßnahmen des Verwalters

Rundschreiben: Sinnvoll ist eine Rundmail an alle Sondereigentümer mit dem Hinweis auf die Folgen knapper Finanzen der GdWE. Die Sondereigentümer sollten gebeten werden, einer Abbuchung weiterer Lastschriften in Form freiwilliger Sonderzahlungen (a conto auf die zu erwartenden Nachschüsse für das Wirtschaftsjahr 2022) zuzustimmen. Dabei könnte ergänzend darauf hingewiesen werden, dass die künftigen Nachschüsse zwar auf Soll-Basis berechnet werden, der individuelle Abrechnungsfehlbetrag sich jedoch um die Sonderzahlung reduziert.

Ebenfalls sinnvoll ist ein ergänzender Hinweis auf seriöse Möglichkeiten der Energieeinsparung. Beispiele: Bei einer Senkung der Raumtemperatur um nur 1 °C lassen sich rund sechs Prozent der Heizkosten sparen. Die Mischbatterie des Wasserhahns sollte nicht in der Mittelstellung stehen, sondern in der Position „kalt“.

Vertragsabschlüsse: Mutiges Reagieren des Verwalters auf Vertragsofferten der Gasversorger mit kurzer Bindungsfrist, die bereits eine Einberufung mit verkürzter Ladungsfrist nicht mehr zulassen.

Wenn der Verwalter auf ein solches Angebot mit geringer/kurzer Bindungsfrist (§ 148 BGB) nicht antwortet, ist auch das eine (ablehnende) Entscheidung für die GdWE. Eine verspätete Annahme – zum Beispiel nach Rücksprache mit dem Beirat oder dem Mehrheitseigentümer – wäre nur ein neues Vertragsangebot an den Gasversorger (§ 150 BGB). Gegenüber dem Versorger im Außenverhältnis kann der Verwalter das Angebot wegen § 9b Abs. 1 WEG wirksam annehmen (rechtliches Können), im Innenverhältnis (rechtliches Dürfen) allerdings nur dann, wenn ein Eilfall des § 27 Abs. 1 Nr. 2 WEG vorliegt.

Risiko für den mutigen Verwalter? Selbst dem Verwalter, der eigenmächtig das Gemeinschaftseigentum instand setzt und instand hält, kann gegenüber der GdWE ein Ersatzanspruch aus Geschäftsführung ohne Auftrag oder Bereicherungsrecht zustehen (BGH v. 10. Dezember 2021, 
V ZR 32/21, ZMR 2022, 480). Das Risiko bei der Beschaffung von Brennstoff während der Heizperiode dürfte überschaubar sein.

Fazit

Der Verwalter sollte ausdrücklich seiner angedachten Einzelfallentscheidung entgegenstehende Beschlüsse oder Vereinbarungen der Sondereigentümer beachten. Die Entscheidung des Verwalters muss zumindest „dem Interesse der Gesamtheit der Wohnungseigentümer nach billigem Ermessen entsprechen“ (vgl. § 18 Abs. 2 WEG). Also: Mut zur Entscheidung! Denn: Es recht zu machen jedermann, ist eine Kunst, die niemand kann.

Dr. Olaf Riecke
weiland Richter am Amtsgericht Hamburg-Blankenese
olaf@riecke-hamburg.de

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