Nicht selten wünscht sich ein Vermieter eines in das Verbraucherinsolvenzverfahren gegangenen Mieters lieber ein Ende mit Schrecken statt eines Schreckens ohne Ende. Dies insbesondere, wenn aus der Zeit vor dem Insolvenzeröffnungsantrag erhebliche Rückstände bestehen, die als einfache Insolvenzforderungen faktisch ausfallen. Der insolvente Mieter soll also bitte raus aus dem Objekt.
In diesem Kontext stolpert ein Vermieter zumeist über zwei Paragraphen (§§ 109, 112 InsO), die ein Berufshausverwalter kennen sollte, und zu denen der VIII. Senat des BGH nun am 17.06.2015 zu VIII ZR 19/14 ein Urteil erlassen hat, das für die Praxis bedeutsam ist. Die Entscheidungsgründe waren allerdings leider zu Redaktionsschluss dieser Ausgabe noch nicht veröffentlicht.
Vereinfachter Sachverhalt
Ein Wohnraummieter unterzahlte die Miete zwischen März 2009 und Oktober 2012 erheblich, sodass ein kündigungsrelevanter (weil zur fristlosen Kündigung berechtigender) Rückstand entstand. Auf Antrag des Mieters wurde am 17.06.2010 das Verbraucherinsolvenzverfahren eröffnet. Am 01.07.2010 erfolgte die sogenannte Freigabeerklärung (auch als Enthaftungserklärung bezeichnet) des Insolvenzverwalters (im Verbraucherinsolvenzverfahren auch als Treuhänder bezeichnet) gem. § 109 I 2 InsO. Diese bewirkte zum 30.09.2010, dass das Mietverhältnis nicht mehr massebefangen war; mit jenem Zeitpunkt fiel das Mietverhältnis damit in die Verfügungsbefugnis des Mieters zurück. Damit war der Vermieter ab dem 01.10.2010 wieder berechtigt, gegenüber dem Mieter zu kündigen (vgl. zu den Wirkungen der Freigabeerklärung: BGH Urteil vom 09.04.2014, VIII ZR 107/13).
Problem/zentrale Norm
Nach der sogenannten Kündigungssperre des § 112 Ziff. 1 InsO kann ein Vermieter einen Mietvertrag nicht aufgrund von Rückständen kündigen, die in der Zeit vor dem Insolvenzantrag entstanden und aufgelaufen sind. Diese gesetzliche Regelung des § 112 Ziff. 1 InsO dient u. a. dem Schutz der Insolvenzmasse. Sie kann in der Praxis dazu führen, dass ein Mieter mit hohen Mietrückständen einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens stellt und ab jenem Zeitpunkt die dann folgenden Mieten wieder vollständig erbringt. In einem solchen Fall kann ein Vermieter nicht wegen jener Rückstände vor dem Insolvenzeröffnungsantrag kündigen und ist gehalten, ein Mietverhältnis zu einem Mieter fortsetzen, der ihm einen erheblichen Schaden zugefügt hat.
Entscheidung
Der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs entschied nun, dass die Kündigungssperre des § 112 Nr. 1 InsO mit Wirksamwerden der Freigabeerklärung nach § 109 Abs. 1 Satz 2 InsO entfalle und eine außerordentliche Kündigung auch auf solche Mietrückstände gestützt werden könne, die vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens aufgelaufen sind.
Merke für die Verwalterpraxis
Im Verbraucherinsolvenzverfahren kann ein Treuhänder eine Freigabe des Mietverhältnisses aus der Masse erklären. Diese Freigabe hat u. a. zur Folge, dass der Mieter mit Ablauf von drei Monaten wieder verfügungsbefugt wird. Ab jenem Zeitpunkt muss die Kündigung wieder gegenüber dem Mieter und nicht mehr gegenüber dem Treuhänder erklärt werden. Dabei kann sich ein Vermieter nach Wirksamwerden der Freigabeerklärung bei der Berechnung der kündigungsrelevanten Rückstände auch auf Rückstände stützen, die vor dem Insolvenzantrag aufgelaufen sind.
Frank Weißenborn
weissenborn@wir-wanderer.de
Foto oben rechts: nito/Shutterstock