Warum auch der Ökostrompreis steigt

Viele Verbraucher mit Ökostromtarif fragen sich derzeit, warum eigentlich auch bei ihnen die Strompreise steigen. Und das ist berechtigt. Dr. Corine Veithen von LichtBlick klärt auf.

Aus Sicht der EU-Gesetzgebung besteht Ökostrom aus zwei Komponenten: physikalischer Strom und dem dazugehörigen Herkunftsnachweis (HKN). Ein HKN ist ein Dokument, das einer Erneuerbare-Energien-Anlage dann aus-gestellt wird, wenn sie 1 MWh Strom produziert hat. Diesen HKN kann ein Ökostromversorger kaufen und zusammen mit dem Strom an einen Kunden als Ökostrom verkaufen. In diesem Moment wird der HKN entwertet. Das stellt sicher, dass er nur einmal ausgestellt und verkauft wird.

Das klingt kompliziert, ist aber erforderlich, denn Strom ist ein sehr besonderes Produkt – und das aus zwei Gründen:

  1. Strom ist nicht speicherbar. Das bedeutet, es muss immer genau so viel Strom produziert werden, wie  gerade verbraucht wird, um ihn jederzeit verfügbar zu
    machen und das Netz stabil zu halten. Dafür muss im Viertelstundentakt sichergestellt sein, dass genug Strom für die aktuelle Nachfrage vorliegt. Alle Marktakteure sind in der Pflicht, also Stromproduzenten, -händler, Energieversorger und Netzbetreiber. Und das funktioniert in Deutschland sehr gut: Unser Netz ist stabil und Netzausfälle sind äußerst selten. Die Preisbildung für Strom fördert dabei das günstigste Kraftwerk; auf dies wird als erstes zurückgegriffen. Häufig sind das Erneuerbare-Energien-Anlagen. Es werden dann so viele Kraftwerke zugeschaltet wie nötig, um genau die Nachfrage zu bedienen, die in der Viertelstunde angefragt wird. Den Preis für diese Viertelstunde setzt dabei das letzte und damit teuerste Kraftwerk, das gebraucht wird, um die nachgefragte Menge zu bedienen – also Kohle- oder Gaskraftwerke.

  2. Strom verliert seine Identität, sobald er einmal im Netz gelandet ist. Man kann ihn nicht verfolgen wie zum Beispiel eine Tomate, deren Herkunft man bis zum Strauch nachspüren kann. Wer neben einem Kohlekraftwerk wohnt, bekommt also wahrscheinlich den Strom aus diesem Kraftwerk, da Strom sich immer den kürzesten Weg sucht. Und wer vertraglich Ökostrom bezieht, bekommt auch einen Mix aus verschiedenen Quellen. Direkten Ökostrom bezieht nur, wer eine Photovoltaik-Anlage auf seinem Dach hat.

Beides sorgt mit dem jetzigen Preisbildungsmodell dafür, dass Ökostrom mindestens genauso teuer ist wie anderer Strom – es muss jeweils der physikalische Teil des Stroms gekauft werden, bei Ökostrom kommt zudem die Finanzierung von HKNs hinzu.

Ist es trotzdem sinnvoll, Ökostrom zu beziehen?

Ein klares Ja! Vor allem wenn man Energie von reinen Ökostromversorgern bezieht. Die Herkunftsnachweise sind ein seit vielen Jahren funktionierendes, transparentes und nachvollziehbares System, das belegt, dass der Strom, den der Kunde gekauft hat, in einer Erneuerbare-Energien-Anlage produziert wurde. Es stellt sicher, dass der Strom klimafreundlich ist und die Umwelt nicht schädigt.

Für Gewerbe und Industrie ist Ökostrom, belegt durch Herkunftsnachweise, eine Voraussetzung, um sich die eigene Stromversorgung als CO₂-frei und klimafreundlich bestätigen zu lassen. Die wichtigsten Standards zur Klimabilan-zierung, zum Beispiel das Green House Gas Protocol, sehen explizit die Nutzung eines HKN zum Nachweis von Ökostrom in der Klimabilanz vor.

Wichtig in diesen Zeiten ist aber auch: Ökostrom beschleunigt die Energiewende in Europa und bringt stetig mehr Energieunabhängigkeit. Wir alle wissen nun, wie wichtig dies ist.

Gibt es Verbesserungspotenzial?

Sicherlich. Denn Herkunftsnachweise werden typischerweise einmal im Jahr ausgestellt und eingekauft. Das bedeutet, dass nicht notwendigerweise zu jeder Zeit Ökostrom eingespeist wird, wenn vertraglich eingekaufter Ökostrom verbraucht wird. Deshalb wird daran gearbeitet, die Herkunftsnachweise „granularer“ zu gestalten, sodass sie für kürzere Zeiträume wie Monate oder Stunden ausgestellt werden können. Verknüpft man sie dann auch mit den stündlichen Verbräuchen der Kunden auf der anderen Seite, entsteht eine bessere Parallelität von Produktion und Verbrauch. Und die Zeiträume, in denen erneuerbare Energien noch nicht in dem Ausmaß zur Verfügung stehen, werden sichtbarer. Dort sollten dann perspektivisch Anlagen einspringen, die erneuerbaren Strom gespeichert haben.

Für eine weitere Verbesserung können Kunden sorgen – wenn sie genauer hinschauen, welche Qualität die Herkunftsnachweise ihrer Versorger haben. Diese Information steht heute schon zur Verfügung, wird aber weniger beachtet. Was möchte man als Kunde? Herkunftsnachweise aus norwegischen Wasserkraftwerken? Aus Windanlagen in Deutschland, die keine Förderung mehr erhalten nach 20 Jahren Laufzeit? Oder aus neuen, ungeförderten Photovoltaik-Anlagen? All dies ist heute schon möglich. Fragen Sie Ihren Stromversorger.

Dr. Corine Veithen
www.lichtblick.de

Dr. Corine Veithen ist seit 2015 beim Ökostrompionier LichtBlick tätig. Als Expertin für Energiewende und Klimapolitik beschäftigt sie sich mit dem ökologischen Fußabdruck des Unternehmens und arbeitet daran, die CO₂-Bilanz des Ökostromversorgers bis 2035 auf null zu senken. Zudem arbeitet sie an Kampagnen mit, um die Energiewende auch in den Bereichen Mobilität und Wärmeversorgung

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