Gewerbemietrecht und Mängelgewährleistung

Die pandemiebedingte Schließungsanordnung und ihre Folgen

Mehr als 18 Monate haben sich die Aufsätze der Fachliteratur überschlagen und es hat sich die Instanzrechtsprechung an der Frage abgearbeitet, welche Rechtsfolge eine pandemiebedingte Schließungsanordnung nach sich zieht. Bis zum Reichsgericht zurück wurde recherchiert. Seit Anfang 2022 liegen nun auch Entscheidungen des für die Gewerberaummiete zuständigen 
XII. Zivilsenats des BGH dazu vor (vgl. etwa BGH XII ZR 8/21; BGH XII ZR 17/21; BGH XII ZR 36/21). Was wissen wir? Und was wissen wir nicht?

Problem und Beispielsachverhalt

So war bereits Ende des ersten Quartals 2020 im Ausgangspunkt umstritten, welche Auswirkung es rechtlich haben kann, wenn zum Beispiel ein Einzelhandelsgeschäft während des ersten Lockdowns im April 2020 aufgrund einer pandemiebedingten Schließungsanordnung seine Ladenräumlichkeiten nicht für das Publikum öffnen durfte. Und das obwohl der vereinbarte Vertragszweck im Mietvertrag geregelt war (und zum Beispiel „Ladenräumlichkeiten für Einzelhandel; Verkauf von Bekleidung“ vorsah), der Vertrag jedoch keine Krisenregelung für solche Fälle (höherer Gewalt) enthielt.

Der Streitstand

Es entsprach dabei bereits während des ersten Lockdowns der überwiegenden Ansicht der Rechtsuchenden, dass eine uneingeschränkte mieterseitige Fortzahlungspflicht schwer zu vertreten sei. Uneins war man sich beim rechtlichen Einfallstor und der Höhe des Kürzungsanspruchs.

Während manche Stimmen einen Mangel des Mietobjekts annahmen und die allgemeinen mietrechtlichen Gewährleistungsansprüche zur Anwendung bringen wollten (zum Beispiel das Recht zur Minderung der Miete aus § 536 BGB), wähnten andere derartige Sachverhalte im Recht der allgemeinen Vorschriften der Unmöglichkeit angesiedelt. Wieder andere sahen eine Ausstrahlung gesetzlicher Verbote mit der Folge der (Teil-)Nichtigkeit des Vertrags. Und ein großer Teil sah die Anwendbarkeit des Rechtsinstituts des Wegfalls der Geschäftsgrundlage gegeben.

Die Rechtsauffassung des XII. Zivilsenats des BGH

Im letztgenannten Sinne ordnet nun auch der BGH diese Sachverhalte ein. Die pandemiebedingte Anordnung der Schließung eines Einzelhandelsgeschäfts führe nicht zu einem Mangel der Mietsache im Sinne von § 536 Abs. 1 BGB. Damit sei die Anwendbarkeit der mietrechtlichen Gewährleistungsvorschriften ausgeschlossen. Denn die Gebrauchsbeschränkung stehe nicht unmittelbar mit der konkreten Beschaffenheit, dem Zustand oder der Lage des Mietobjekts in Zusammenhang.

Durch die Pandemie sei dem Vermieter die vertraglich geschuldete Leistung zur Überlassung und zur Erhaltung der Mietsache zum vertragsgemäßen Gebrauch auch weder ganz noch teilweise unmöglich geworden. Die Vorschriften über die Unmöglichkeit finden damit ebenso wenig Anwendung auf diesen Beispielfall wie die gesetzlichen Verbote der §§ 134, 138 BGB.

Durch die COVID-19-Pandemie habe sich ein allgemeines Lebensrisiko verwirklicht, das eine Systemkrise ausgelöst habe. Die vielfältigen Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie und die damit verbundenen Auswirkungen beträfen die große Geschäftsgrundlage und damit die Erwartung der vertragschließenden Parteien, dass sich die grundlegenden politischen, wirtschaftlichen und sozialen Rahmenbedingungen eines Vertrags nicht ändern und die soziale Existenz nicht erschüttert werde. Daraus folge jedoch noch nicht, dass ein Mieter stets eine Anpassung der Miete für die Zeit der Schließung verlangen könne.

Bei der Prüfung eines konkreten Anpassungsanspruchs verböten sich pauschale Betrachtungsweisen (und eine formelhafte Kürzung der Zahlungspflicht um zum Beispiel 
50 Prozent). Maßgeblich seien vielmehr sämtliche Umstände des Einzelfalls. Dabei sei – im Rahmen des sogenannten normativen Elements – zu prüfen, ob es den jeweiligen Vertragspartnern unter Berücksichtigung der vertraglichen oder der gesetzlichen Risikoverteilung zumutbar sei, an dem unveränderten Vertrag festzuhalten oder ob dies für die betroffene Partei zu einem untragbaren Ergebnis führe. Einer wirtschaftlichen Existenzgefährdung bedürfe es demgegenüber nicht.

Was wissen wir und was noch nicht?

Nun wissen wir schon recht genau, wer was im Prozess darlegen muss und wo die Prüfung vorzunehmen ist: nämlich in § 313 BGB – Störung der Geschäftsgrundlage. Unklar ist allerdings weiter, in welcher Höhe eine solche Kürzung in Betracht kommt. Denn aufgrund der Zurückverweisungen zu den Oberlandesgerichten in einigen Urteilen fehlt es bisher an konkreten Quoten, die zur Beratung und Orientierung dienen. Ängstliche Parteien sehen darin häufig auch weiterhin ein Argument dafür, ihre Untätigkeit und fehlende Einigungsbereitschaft zu begründen.

Über den Tellerrand geschaut

Dabei dürfen die vorstehenden Ausführungen nicht dazu verleiten, dass etwa alle Sachverhalte im Zusammenhang mit der Pandemie über § 313 BGB zu lösen seien und stets einen Anpassungsanspruch nach sich zögen. Für die Raummiete für eine der Pandemie zum Opfer gefallene Hochzeitsfeier hat der BGH auch bereits eine volle Zahlungspflicht des Brautpaars bejaht, weil sich jenes nicht zur Nachholung bereit erklärt hatte (BGH XII ZR 36/21). Für die Dauer und den Fall einer vorübergehenden Schließung eines Fitnessstudios hat der BGH das Rechtsinstitut der Unmöglichkeit angenommen und einen vollen Rückzahlungsanspruch des Mieters für die Dauer der Schließung bejaht (BGH XII ZR 64/21).

Frank Weißenborn
wir-wanderer.de

Frank Weißenborn ist Rechtsanwalt/Fachanwalt für Miet- und WEG-Recht.

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