„Vollmachtslösung“ für Eigentümerversammlungen?

Während der Corona-Pandemie:

Das AG Lemgo (Urt. v.24.08.2020 - 16 C 10/20) hat eine Verletzung des Teilnahmerechts (und als Folge davon des Diskussionsrechts und der Ausübung des Stimmrechts) der Wohnungseigentümer in einem Fall bejaht, in dem der Verwalter in die Einladung zu einer Eigentümerversammlung im Verwalterbüro den Hinweis aufgenommen hatte, dass die Versammlung im "Vollmachtsverfahren" stattfinden soll, das Büro für Publikumsverkehr geschlossen sei und vom persönlichen Erscheinen Abstand genommen werden möge.

 

Eine derart klare „Ansage“ wurde als zumindest faktische Ausladung der Eigentümer angesehen. Das ist plausibel und führt zumindest zur Anfechtbarkeit trotzdem gefasster Beschlüsse; das Gericht bejahte sogar deren Nichtigkeit.

AG Kassel: Sämtlichen Wohnungseigentümern Teilnahme ermöglichen

Das AG Kassel (Urt. v. 27.08.2020, 800 C 2563/20) sprang auf diesen Zug auf und schoss weit über das Ziel hinaus. In der Einladung zur Eigentümerversammlung hieß es dort nämlich lediglich: „Aufgrund der Größe der Sitzungsräume muss die Anzahl der anwesenden Eigentümer bei dieser Versammlung beschränkt werden (10 Personen inkl. Verwalter). Erteilen Sie deshalb möglichst […] Vollmacht für die Teilnahme an der Versammlung. [...] Der Verwalter behält sich vor, die Versammlung nicht durchzuführen, sofern die Höchstzahl der Anwesenden überschritten wird und keine einvernehmliche Regelung am Versammlungstag dazu getroffen werden kann.“

Das AG Kassel (a.a.O.) sah hierin einen Ausschluss von der Teilnahme an der Eigentümerversammlung zulasten von mindestens zwei Wohnungseigentümern. Darin liege ein Eingriff in den Kernbereich des Wohnungseigentums. Es dürfen Teilnahmerecht und Stimmrecht eines Wohnungseigentümers allenfalls ausnahmsweise eingeschränkt werden. Als milderes Mittel sei die Anmietung eines Raumes geboten, der geeignet ist, alle Auflagen der landesrechtlichen Corona-Schutzverordnungen zu erfüllen, um sämtlichen (!) Wohnungseigentümern die Teilnahme an der Versammlung zu ermöglichen.

Versammlungsort im Beurteilungsspielraum des Verwalters

Das AG Kassel verkennt schon, dass es im Beurteilungsspielraum des Verwalters liegt, einen Versammlungsort auszuwählen, der ex ante betrachtet die Teilnahme aller von ihm erwarteten Eigentümer zulässt. Gerade in Zeiten einer Pandemie ist eher mit einer niedrigeren Teilnehmerzahl gegenüber früheren Versammlungen zu rechnen. Keineswegs hat der Verwalter Räume vorzuhalten, die allen Eigentümern die Teilnahme ermöglichen (völlig praxisfern). Selbst das würde nicht ausreichen, wenn die Gemeinschaftsordnung keine Vertreterklausel (beschränkt auf Vollmachten an den Verwalter, Eigentümer sowie Ehepartner und Kinder) enthält, da sich nach § 164 BGB jeder Eigentümer durch mehrere (!) Personen vertreten lassen darf.

Dr. Olaf Riecke, Hamburg

www.riecke-hamburg.de

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