Die Gegensprechanlage mit Videofunktion und der Datenschutz

Wenn der Postmann zweimal klingelt

Mitte 2023 erhielt ein Hausverwalter die folgende E-Mail: „... verlange ich gemäß Art. 15 DSGVO Auskunft über die von Ihnen gespeicherten Daten zu meiner Person. Insbesondere die Daten Ihrer Kamera im Klingelschild der ...Straße 72.“

Was war geschehen? Ein Bewohner fühlte sich durch eine Videokamera im Nachbargebäude derart beobachtet, dass er ein Auskunftsersuchen bei der Hausverwaltung des Nachbargebäudes einreichte. In dessen Hauseingang war nämlich eine Gegensprechanlage mit Videokamera montiert worden.

Der Beschwerdeführer sah sich in seiner Privatsphäre immer dann gestört, wenn er beispielsweise auf seinem Balkon verweilte und jemand im Nachbargebäude klingelte. Da die Kamera zusätzlich mit LED-Leuchtmitteln ausgestattet ist, konnte der Beschwerdeführer erkennen, wann die Kamera aktiv ist. Er nahm also an, dass jedes Mal, wenn die Kamera aktiv ist, sein Balkon durch die Kamera erfasst und aufgezeichnet würde.

Seine Reaktion ist verständlich, und sein Misstrauen befeuert die Werbung entsprechend. Darin wird versprochen, dass man einem Postboten über das Smartphone erklären könne, wo er das Paket platzieren möge, oder einen Einbrecher durch entsprechende Beleuchtung und Schallsignale in die Flucht jagen könne, und das alles per Smartphone. Kein Wunder also, dass sich so mancher durchaus beobachtet fühlt.

Amazon Ring und Google Nest

Die in der Werbung propagierten Geräte sind in der Regel nachrüstbare Tür-Klingelkameras. Besonders die Anbieter Amazon Ring und Google Nest versprechen, dass man nach einfachster Montage vorher definierte Bereiche überwachen könne. Die Geräte sind meist mit einem langlebigen Akku ausgestattet und lassen sich unkompliziert über das WLAN in das heimische Netzwerk einbinden. Die Anbindung an das Smartphone ist mit wenigen Klicks erledigt. In der Regel sind die Geräte aber für private Eingänge und Zugänge von Wohnungen gedacht.

Hingegen sind Gegensprechanlagen mit Videofunktion für Mehrfamilienhäuser ganz anders konzipiert. Dabei handelt es sich vorwiegend um festverbaute Kameras in Klingeltableaus, die wie ein Türspion funktionieren. Verschiedene Hersteller bieten hier ebenfalls eine Anbindung an das Smartphone an. Via App lässt sich dann auch das Bild der im Tableau verbauten Kamera abrufen. Besuchern und Lieferanten kann dann aus der Ferne der Zugang gewährt werden.

Die Anonymität von Videokameras

Zurück zu unserem Fall. Die Skepsis des Beschwerdeführers ist berechtigt. Denn das Problem von Videokameras ist grundsätzlich, dass sich eben nicht auf Anhieb erkennen lässt, ob und wer beobachtet – oder ob es sich um eine Kameraattrappe handelt. Kameras sind anonym. Auch ist in der Regel der Zweck nicht sofort erkennbar. Und dieser ist, außer ein entsprechendes datenschutzkonformes Hinweisschild teilt es verständlich mit, eben selten transparent, zumindest für die beobachtete Person. Typische Video-Klingeltableaus müssen eben nicht über entsprechende Hinweisschilder zur Videoüberwachung gekennzeichnet werden, da datenschutzrechtliche Anforderungen in der Regel nicht beachtet werden müssen. Jedoch ist und bleibt eine Videokamera das, was sie ist: ein Mittel zur Übertragung optisch-elektronischer Signale. Die Technik ist entscheidend. Die Datenschutzkonferenz (DSK), das Gremium aller Landesdatenschutzbeauftragten Deutschlands, veröffentlichte eine Orientierungshilfe. Nach Meinung der DSK liegt eine Videoüberwachung dann vor, wenn mithilfe optisch-elektronischer Einrichtungen personenbezogene Daten verarbeitet werden. Und damit sind nicht nur handelsübliche Überwachungskameras gemeint, sondern jegliche Geräte, „die zur längerfristigen Beobachtung und somit für einen Überwachungszweck eingesetzt werden“, stellt die DSK fest. Eine Videoüberwachung ist demnach grundsätzlich „weit auszulegen“. Videokameras, die ausschließlich zu persönlichen Zwecken eingesetzt werden, sind vom Anwendungsbereich der DSGVO in der Regel ausgeschlossen, sofern sie private Räumlichkeiten und Grundstücke überwachen – aber eben auch nur so lange, wie diese Aufnahmen beispielsweise in sozialen Medien oder anderweitig nicht veröffentlicht werden.

Die Erfassung öffentlicher Räume

Streng genommen handelt es sich auch bei einer Videokamera im Klingeltableau um eine Videoüberwachung. Denn eine solche Videokamera erfasst häufig öffentlichen Raum. Und das ist genau das Problem. Ein System, das in Wohnbereichen als Überwachungsoder Türkamera fungiert und durch Bewegung, manuelle Bedienung oder über eine Smartphone-App aktiviert werden kann, entspricht nicht den rechtlichen Anforderungen an eine Videoüberwachung öffentlicher Räume. Etwaige Systeme zur Überwachung öffentlicher Bereiche sind in der Regel spezifischen rechtlichen Einschränkungen und Anforderungen untergeordnet. Deshalb sind sie nur unter bestimmten Voraussetzungen zugelassen.

Wird erst nach Betätigen der Klingel ein Bild übertragen und das nicht länger als 60 Sekunden, stufen Aufsichtsbehörden so ein System als unbedenklich ein, auch wenn die Kamera öffentliche Bereiche erfasst. Weiterhin muss gewährleistet sein, dass Bilder ausschließlich in die Wohnung übertragen werden; ein Signal darf nicht verteilt werden. Sobald Aufnahmen aufgezeichnet oder mindestens ausgewertet werden können und das auch anlasslos, ist der Datenschutz zwingend zu beachten. Im Klartext heißt das: Videoaufzeichnungen dürfen nicht dauerhaft gespeichert werden.

Das Problem: Die Aufzeichnung und Speicherung

Und genau da ist der Unterschied zu herkömmlichen Klingel-Videosystemen. Die Geräte von Amazon und Google beispielsweise bieten eine dauerhafte Speicherung auf den Servern der Anbieter an. Nimmt der Betreiber selbst keinerlei Einstellungen vor, speichert Google die Aufnahmen zwei Monate und Amazon einen Monat, bevor diese automatisch gelöscht werden. Die Anbieter übertragen damit die Verantwortung an den Betreiber. Grundsätzlich gilt: Daten sind immer dann unverzüglich zu löschen, wenn sie ihren Zweck nicht mehr erfüllen. Eine langfristige Speicherung ist in den seltensten Fällen sinnvoll. In der Regel werden keine zwei Monate benötigt, um zu bewerten, ob eine Videoaufnahme langfristig gespeichert werden muss. Wird eine Straftat aufgezeichnet, so wird die Videoaufzeichnung in der Regel an Polizei und Behörden ausgehändigt. Deshalb empfehlen Aufsichtsbehörden eine Löschung nach 24 Stunden, maximal aber 48 Stunden. So lange darf eine Videoaufzeichnung zur Beweissicherung auch gespeichert werden. Alle anderen Aufnahmen sind (zu Recht) nutzlos und somit sofort zu löschen.

Wie ein elektronischer Türspion

Das in unserem Fall von dem Beschwerdeführer gerügte System entsprach einer „normalen“ Klingelanlage mit Videosystem – weder wird jemand dauerhaft beobachtet noch werden Bilddaten aufgezeichnet. So gesehen handelt es sich um einen digitalen Türspion, bei dem ein kurzer Blick auf denjenigen geworfen wird, der vor dem Eingang steht. Dem Beschwerdeführer teilte die Hausverwaltung in einer sogenannten Negativauskunft mit, dass keine Daten zu seiner Person verarbeitet würden. Weiter gab die Hausverwaltung dem Beschwerdeführer sehr transparent Auskunft, um welches System es sich handelt und welche Funktionen und Techniken eingesetzt werden. Diese Transparenz ist, zumindest aus datenschutzrechtlicher Sicht, zwingend zu empfehlen.

Fazit

Klingeltableaus mit Videosystem sind per se nicht verboten. Im Gegenteil: Es ist eine Wohnwertverbesserung. Sie trägt ein großes Stück zur Sicherheit bei. Und solange der Gebrauch dem privaten Zweck untergeordnet werden kann („Haushaltsprivileg“ gem. Art. 2 Abs. 2 lit. c DSGVO), sind datenschutzrechtliche Anforderungen (vorerst) nicht zu beachten.

Die Anonymität von Videokameras lässt jedoch einen großen Raum für Spekulationen. Darauf sollte grundsätzlich jede Gemeinschaft, Hausverwaltung und jeder Betreiber einer Videokamera vorbereitet sein. Die datenschutzrechtlichen Anforderungen an ein Videosystem sind enorm. Stets muss das berechtigte Interesse, der Überwachungszweck, die Rechtsgrundlage dokumentiert werden. Ein Betriebskonzept und eine Dokumentation des gesamten Videosystems sind deshalb dringend zu empfehlen – allein schon deswegen, weil Aufsichtsbehörden sehr akribisch Videosysteme prüfen. Am Ende können Behörden anordnen, ein System einzuschränken, stillzulegen oder gänzlich zu demontieren.

Auch wenn bei einem Klingeltableau mit Videofunktion die DSGVO zunächst nicht angewandt wird, empfiehlt es sich
trotzdem, die eingesetzten Systeme zu dokumentieren. Behörden sind leichter zufriedenzustellen, wenn entsprechende Dokumentationen unverzüglich vorgelegt werden können. Denn grundsätzlich ist die Anonymität der Kamera das Problem. Keiner kann sofort erkennen, was sich dahinter verbirgt. In unserem Fall hat der Beschwerdeführer der Hausverwaltung für ihre Transparenz sehr freundlich gedankt. Für ihn war die Sache damit erledigt. Aber auch nur deswegen, weil der Verwalter entsprechend reagiert hat. Datenschutz ist für ihn kein Fremdwort.

Reinhold Okon

REINHOLD OKON
dsb-okon.de

REINHOLD OKON ist zertifizierter Datenschutzbeauftragter (TÜV Süd) und hat sich seit Jahren auf den Datenschutz in der Haus- und Immobilienverwaltung spezialisiert.

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